Der Versuch einer Definition
In der Wissenschaft wird ein Spiel bei dem die Teilnehmer*innen die Rolle eines anderen Menschens, eines fiktiven Charakters, eines Tieres oder eines Gegenstandes einnehmen, gemeinhin als Rollenspiel bezeichnet. Die Möglichkeiten eines Rollenspiels sind dabei nur durch die Fantasie der Teilnehmer*innen beschränkt. Die Forscher*innen Siegbert A.Warwitz und Anita Rudolf beschreiben den Spielgedanken dieser sehr ursprüngliche und weltweit verbreiteten Form des Spiels als “Spielend ein anderer sein”.
LARP, ein Akronym für Live Action Roleplay, ist eine spezielle Art des geregelten Rollenspiels die in den 1980er Jahren aus anderen Formen des geregelten Rollenspiels (Tischrollenspiel, Tabletoprollenspiel, Story Games, etc.) entstanden ist und seither weltweit weiterentwickelt wurde. Seit vielen Jahren wird Liverollenspiel als Kunstform und Bildungsmethode auch wissenschaftlich erforscht und hat, vor Allem in den skandinavischen Ländern Einzug in den staatlich geförderten Kulturbetrieb gefunden.
Als spezielles Medium von Ausdruck, Kommunikation und Reflexion begeistert es heute vorrangig Erwachsene und bietet Menschen die Möglichkeit zwischenmenschliche, emotionale aber auch philosophische und sozio-politische Themen am eigenen Leib erfahrbar zu machen. Die starke Immersion und damit die direkte persönliche Erfahrung des Inhalts, eingebettet in ein fixiertes Netz an Regeln und Sicherheitsmechanismen, ermöglicht den und ermächtigt die Teilnehmenden dazu während des Spielens Positionen einzunehmen und Verhaltensweisen an den Tag zu legen, die nicht ihrem üblichen Werte- und Verhaltenskodex entsprechen. Die so entstehenden Erfahrungen und Begegnungen können, unterstützt durch eine aktive Vor- und Nachbereitung des Erlebten, zu Erkenntnissen führen, die den Teilnehmenden auf der emotionalen Ebene verschlossen wären.
Auf den ersten Blick scheint Liverollenspiel stark verwandt zu ein mit verwandten Kunstformen wie dem Improvisationstheater. Doch da alle Teilnehmenden eines Liverollenspielevents auch Spielende sind, fallen für das persönliche und nach innen gerichtete Erleben einschränkende Bedingungen, wie das Publikum oder der Anspruch an eine professionelle schauspielerische Leistung, zu großen Teilen weg.
Diese Erfahrung, für die eigene intensive Erfahrung und die intensive Erfahrung meiner Mitspieler*innen zu spielen, kann anstrengend, fordernd und entspannend gleichermaßen sein – oft ist es all das zur gleichen Zeit. Doch eben diese Art des Erfahrens ermächtigt Rollenspieler nicht nur dazu sich selbst besser kennen zu lernen. Durch das Vernetzen persönlicher Erfahrung und Emotion mit eine schier endlosen Möglichkeit an Themen aus allen Lebensbereichen ist Liverollenspiel ein mächtiges und bisher noch unterschätztes Medium des Kommunikation und der Vermittlung.
Educational LARP
Das Educational Larp ist der Versuch, die Vermittlung von Unterrichts-Inhalten und Kompetenzen mittels Liverollenspiel zu bewerkstelligen. Das Medium Larp wird dabei im räumlichen Umfeld der Schule, oder im Zuge eines Projektunterrichts von der Schule abgekoppelt, und in Zusammenarbeit mit oder gänzlich von den Lehrkräften, die generell für den Unterricht verantwortlich sind, eingesetzt.
Bereits in den 1970ern und 1980ern kam in Nordeuropa große Begeisterung für das Medium Rollenspiel als Unterrichtsmethode auf. Mit steigender Popularität stieg das Angebot an den Schulen drastisch, während wissenschaftliche Forschung hinsichtlich der Frage der nachhaltigen Wirksamkeit dieser Unterrichtstechnik weit hinterher hinkte. Die Begeisterung erfuhr einen großen Rückschlag, als die ersten Validitäts-Studien der allgemein bekannten mündlichen Propaganda der Unterrichtserfolge widersprachen. Nach und nach ebbte der exzessive Einsatz der Methode ab.
Nichtsdestotrotz finden Rollenspiele bis heute Eingang in den Unterricht und gelten als hilfreiche Abwechslung zu herkömmlichen Unterrichtsmethoden. Erst im letzten Jahrzehnt ist Liverollenspiel als besondere Form des Rollenspiels wieder in den Fokus der Wissensvermittlung gerückt. Die Osterskov Efterskole in Dänemark hat sich sogar gänzlich der Wissensvermittlung über Liverollenspiel verschrieben. Die Efterskole (übersetzt Nachschulen) sind eine weltweit einzigartige dänische Institution, die es 14–18jährigen erlaubt, 1–3 Jahre ihrer Schulausbildung mit einem speziellen Ausbildungsfokus auf zB eine Sportart, Musik, oder Tanz zu absolvieren. An der Osterskov Efterskole, die wie alle Efterskoles die dänischen Standards hinsichtlich des Unterrichtsinhaltes und der Abschlussprüfungen zu erfüllen hat, ist dieser Schwerpunkt Rollenspiel.
Es ist also davon auszugehen, dass Liverollenspiel als Unterrichtsmethode geeignet ist, wenn gewisse Vorasussetzungen erfüllt werden. Die erste und vielleicht wichtigste dieser Voraussetzungen scheint eine intensive Auseinandersetzung der OrganisatorInnen mit den zu vermittelnden Zielen und Inhalten des Spiels/des Unterrichts zu sein. Einige Positionen lassen darauf schließen, dass die Vermittlung von Fakten nicht im Mittelpunkt einer solchen Unterrichtsmethode stehen können, was dem Konzept des kompetenzorientierten Lernens entgegenkommt. Eine intensive thematische und spielerische Vorbereitung, vor allem aber eine intensive und reflexive Nachbereitung sind also offensichtlich essentiell, wenn nicht ausschlaggebend, für den Lernerfolg der Teilnehmenden.
Das größte Potential des Liverollenspiels im Unterricht scheint im sozialen und sozialkritischen Bereich zu liegen. Die Einnahme einer Rolle und die damit verbundene Beschäftigung mit fremden Perspektiven bietet, so eine entsprechende Verbindung zur eigenen Realität dauerhaft aufgebaut werden kann, großes Potential im Hinblick auf die Entwicklung von Empathie und Reflexionsfähigkeit der Teilnehmenden.
Einen ausführlichen Text dazu findest du auf unserem Blogpost Liverollenspiel als Unterrichtsmethode.