Gecastete Larps – Designempfehlungen
Gecastete Larps, also Larps in denen die Charaktere von den Designer*innen des Larps geschrieben und nicht von den Teilnehmenden entwickelt werden, haben das Potential eine besonders immersive Erfahrung zu werden, da Charaktere, Spielwelt und Plot optimal aufeinander abgestimmt werden können. Diese Art von Larps erfordert meist zusätzlichen Arbeitsaufwand von den Designer*innen, was es umso frustrierender macht, wenn Designideen beim Spielen des Larps nicht aufgehen. Ich habe viele Larps mit gecasteten Charakteren geschrieben und noch viel mehr gespielt und möchte in diesem Blogpost einige Lessons Learned in Form von Empfehlungen festhalten, um allen, die sich vielleicht auch einmal ans Design eines solches Larps heranwagen wollen, einen guten Start mit möglichst geringem Arbeitsaufwand zu verschaffen. Ich erhebe dabei keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder Originalität und bin mir auch bewusst, dass diese Herangehensweise nur eine von vielen möglichen ist.
1. Bestandteile eines Charakterblattes
Alle Bestandteile eines Charakterblattes sollten darauf abzielen, Spielimpulse zu generieren. Dabei ist es für das spätere Spielerlebnis weniger wichtig alles lang und kunstvoll auszuformulieren, als darauf zu achten, dass jeder einzelne Charakter folgende essentielle Grundbestandteile enthält und diese so gestaltet werden, dass sie im Larp relevant sind:
- kurz gefasster Charakterhintergrund
- Charaktereigenschaften
- Spielziele, die auf dem Larp erreicht werden könnten
- Verknüpfungen mit anderen Charakteren
- eventuelle Handlungsanweisungen, die Plots in Gang setzen oder Spiel für andere Spieler*innen generieren
- Geheimnisse
Auch wenn manche Larpdesigner*innen diese Dinge gerne in einen einzigen langen Text (aka Charaktergeschichte verpacken), hat es sich als durchaus empfehlenswert herausgestellt, diese Dinge klar strukturiert und übersichtlich (z.B. unter den jeweiligen Überschriften) zu kommunizieren.
Ich möchte auch noch einmal betonen, dass ich hier von den meiner Meinung nach notwendigen Minimalanforderungen ausgehe. Wer gewillt ist, den Arbeitsaufwand zu erhöhen, kann die nachfolgenden Punkte natürlich beliebig erweitern.
1.1 Hintergrundgeschichten von Charakteren kurz fassen
Ich weiß, dass ich gleich mit diesem zweiten Punkt viel Kritik ernten werde, aber ich bin der festen Überzeugung, dass die Kosten-Nutzen-Rechnung beim Schreiben mehrseitiger Charakterhintergrundgeschichten sehr selten aufgeht. Eine lange, detailreiche Geschichte mag zwar stimmungsvoll sein, aber oft ist darin wenig enthalten, das Spieler*innen am Larp nutzen können, um für sich und andere Spiel zu generieren. Das meiste, das in einer Hintergrundgeschichte steht, sollte jedoch Spielimpulse liefern, die zum Spielerlebnis des Spielers / der Spielerin betragen. Oft reicht es dabei, einen Charakterhintergrund mit wenigen Stichworten festzuhalten und den Rest der Fantasie der Spieler*innen zu überlassen. Wenn Zeit oder Energie beim Designprozess knapp werden, kann man an der Ausformulierung von Charakterhintergrundgeschichten gut sparen.
1.2 Spielrelevante Charaktereigenschaften definieren
Es macht Sinn, nur diejenigen Eigenschaften eines Charakters festzulegen, die auch tatsächlich für Plots oder Beziehungen zu anderen Charakteren im Larp relevant sind. Ob die draufgängerische Kampfpilotin nun auch gleichzeitig eine romantische Ader hat, kann auf einem Larp, auf dem es nur um Kampfeinsätze geht, irrelevant sein und könnte demnach der Vorliebe der Darstellerin überlassen werden. Ist die Pilotin gleichzeitig auch Teil einer komplizierten Liebesgeschichte, mag diese Charaktereigenschaft aber durchaus spielrelevant sein und könnte demnach auch im Charakterblatt niedergeschrieben werden. Wichtig ist es jedenfalls, Charaktereigenschaften, die Einfluss auf Charakter-Konstellationen und Plots haben, explizit festzuhalten.
1.3 Spielrelevante Ziele formulieren
Es macht Sinn, wenn Spielziele zumindest theoretisch auf einem Larp erreicht werden könnten. Dabei stellt das Nicht-Erreichen eines Zieles oft eine genauso stimmige Spielerfahrung dar, wie das Erreichen selbst. Was hingegen wenig zum Spielerlebnis beiträgt, ist ein Ziel, das weder Relevanz noch Potential hat, das Spiel von Spieler*innen zu bereichern. Einen Vater seinen verlorenen Sohn suchen zu lassen, macht wenig Sinn, wenn dieser Charakter auf dem Larp dann nicht vorkommt, nichts über seinen Verbleib herauszufinden ist und sowieso niemand je von diesem Sohn gehört hat. Als zusätzlicher Bestandteil der Charaktergeschichte oder um den Vater als rastlos Suchenden zu charakterisieren kann so ein Merkmal zwar hilfreich sein, es fällt dann aber unter Punkt 1.1. oder 1.2. Solche Charakter definierenden Ziele tragen aber oft nicht dazu bei, einem*r Spieler*in Spielimpulse und somit Beschäftigung zu liefern und sollten somit nie als Ersatz für spielrelevante Zielen eingesetzt werden.
Genauso wenig reicht es aus, Spielziele zu formulieren, die innerhalb kürzester Zeit erreicht werden können. Ein gutes Spielziel sollte eine*n Spieler*in den Großteil des Larps über beschäftigen.
1.4 Verknüpfungen mit anderen Charakteren
Der große Vorteil von Larps mit gecasteten Charakteren ist, dass man als Designer*in vielschichtige soziale Netzwerke entwerfen kann. Für Spieler*innen ist es dabei immer hilfreich ein “Who is who” incl. Porträtfotos zu haben. Es empfiehlt sich auch Listen mit allgemein bekannnten Infos über alle Charaktere an vorher definierten Orten aufzuhängen (z.B. im Off-Game Bereich, in der Chill-Out Zone, auf der Klotüre,..).
In Bezug auf engere Charakterbeziehungen ist es spielförderlich für jeden Charakter zumindest 2, besser mehrere, positive Verknüpfungen (Freundschaft, Liebschaft, Lehrmeister*in – Schüler*in, … ) zu schreiben. Für die meisten Spieler*innen macht etwas Konfliktpotential ein Larp interessanter, weswegen ich empfehlen würde, für jeden Charakter auch zumindest eine negative Verknüpfung (z.B. Feindschaft, Neid, Angst, …) zu definieren.
1.5 Handlungsanweisungen
Larps, die nicht nach einem Sandbox-Prinzip entworfen werden, sondern für die das Ablaufen von gewissen Handlungen ein Gelingensfaktor ist, machen es oft notwendig, dass bestimmte Spieler*innen in ihren Rollen bestimmte Handlungen setzen. Ich kann hierzu nur eindringlich raten, dass solche Dinge als explizite Handlungsanweisungen in Charakterblätter aufgenommen werden. Manchmal ist man als Designer*in so tief in seine Charaktergeschichten und Plots eingetaucht, dass es völlig klar erscheint, dass ein Charakter nur auf eine bestimmte Art und Weise handeln kann. Oft legen aber verschiedene Personen Dinge anders aus und auf einem Larp wird sowieso vieles neu ausgewürfelt. Wenn es für euer Familiendrama also unerlässlich ist, dass die Mutter sich im Laufe des Larps vom Vater trennt, dann schreibt das als klare Handlungsanweisung in das Charakterblatt. Das ist umso wichtiger, wenn das Spielerlebnis von weiteren Spieler*innen davon abhängt (ich würde hier sogar so weit gehen, es explizit zu kommunizieren, wenn das Spielerlebnis anderer Personen vom Befolgen von Handlungsanweisungen abhängt).
1.6 Geheimnisse
Dass es vielen Menschen Spaß macht, einen Charakter mit Geheimnissen zu spielen, ist nichts neues, aber auch hier ist es wichtig darauf zu achten, dass diese für das Spiel relevant sind. Im Idealfall liefern Geheimnisse Spielimpulse für mehr als nur eine/n Spieler*in, zumindest aber sollten sie das Spielerlebnis für die / den Darsteller*in des Charakters bereichern. Ein Geheimnis, wie z.B. “Als Kind hast du heimlich lesen gelernt, inzwischen bringst du aber anderen Lesen und Schreiben bei”, bereichert zwar eine Hintergrundgeschichte oder vielleicht auch die Beziehung zu einem anderen Charakter, es ist auf dem Larp aber nicht mehr spielrelevant.
Meistens ist es für das Spielerlebnis förderlich, wenn ein Geheimnis im Laufe des Larps ans Tageslicht gerät oder wenn es zumindest Mitwissende gibt. Beim Schreiben der Charaktere gilt es also gut durchzudenken, wer über welches Geheimnis eines anderen Charakters Bescheid weiß oder wer vielleicht erste Anhaltspunkte zur Aufdeckung eines Geheimnisses hat.
2. Cocreation & Casting
In meiner Erfahrung werden Spielerlebnisse oft reichhaltiger, wenn es Spieler*innen schon im Vorfeld ermöglicht wird, an der Ausgestaltung des Larps teilzuhaben. Hier erscheinen zwei Aspekte besonders wichtig: Teilhabe an der Rollenzuteilung und Teilhabe an der Entwicklung des eigenen Charakters.
Gerade wenn es um die Ausgestaltung des eigenen Charakters geht, ist es von Vorteil, wenn von den Larpdesigner*innen nur spielrelevante Aspekte (siehe Punkt 1) festgelegt wurden. Der Mut zur Lücke bei Hintergrundgeschichten und Charaktereigenschaften ermöglicht es Spieler*innen, selbst kreativ zu werden und ihrem Charakter noch einen persönlichen Feinschliff zu geben, der ihnen zusätzliche, für sie erstrebenswerte Spielerlebnisse verschafft könnte.
In Bezug auf die Rollenzuteilung halte ich es für unerlässlich mit Fragebögen (z.B. über Google Formulare) zu arbeiten. Niemand kann die Bedürfnisse und intendierten Spielerlebnisse einer Person besser einschätzen als die Person selbst. Bewährt haben sich hier Fragebögen, die explizit Leitthemen, Spielinhalte und Charakteristiken der Charaktere nach Vorliebe reihen lassen. Die Leitthemen (z.B. Intrige, Investigation, Romanze,…) werden hierzu im Vorfeld von den Larpdesigner*innen identifiziert und Charakteren zugeordnet. Mit Hilfe der ausgefüllten Fragebögen lassen sich dann Charaktere verteilen und eventuell noch adaptieren, um den Wünschen des/r jeweiligen Spieler*in passgenauer zu entsprechen.
Was tatsächlich in einem Casting Fragebogen abgefragt wird, hängt natürlich vom jeweiligen Larp ab. Sinnvoll neben Leitthemen und Charakteristiken kann auch eine offene Frage nach dem intendierten Spielerlebnis sein. Vielen Spieler*innen ist es auch wichtig, sich eine enge Verknüpfung mit bestimmten Personen zu wünschen oder einen Wunsch zum Charakterarchetyp oder der Gruppenzugehörigkeit abgeben zu können.
Details zu Casting Fragebögen und auch zu Cocreation sollen später einmal in einem anderen Blogpost besprochen werden.
3. Sicherheitsnetze
Oftmals stellen Charaktere, die für den dramaturgischen Bogen eines Larps eine wichtige Funktion übernehmen oder die viel zur Atmosphäre beitragen, eine besondere Herausforderung für die Spielenden dar. So wird das Darstellen eines Antagonisten oft als emotional schwierig und kräftezehrend erlebt – es ist z.B. nicht einfach 24 Stunden non stop den von allen gehassten und gefürchteten Bully zu spielen, auch wenn dieser für ein intensives Spielerlebnis der restlichen Spieler*innen sorgt. Gerade bei solchen emotional herausfordernden Charaktere, die viele negative oder belastende Spielerlebnisse mit sich bringen, ist es wichtig, Sicherheitsnetze zu knüpfen. Auch der Bully braucht eine vertraute Person, auf die er sich immer verlassen kann. Auch die schüchterne, soziale Außenseiterin braucht eine Person, die sie mit anderen in Interaktion bringt. Es mag zwar für manche Spieler*innen interessant sein, auch einmal sozial isoliert zu spielen, aber das sollte immer im Vorfeld abgeklärt werden. Im Normalfall halte ich es für unerlässlich, solche Sicherheitsnetze für Charaktere mit “problematischen” Charaktereigenschaften zu erstellen. Zusätzlich macht es Sinn, sich Gedanken um die emotionale Sicherheit und das psychische Wohlbefinden der Teilnehmer*innen zu machen und hier Angebote einzuplanen – aber auch das soll nicht Thema dieses Blogposts sein.
Handelt es sich beim geplanten Larp nicht um ein Sandbox-Spiel, sondern sind bestimmte Handlungen von Charakteren für den Ablauf des Larps erforderlich (siehe auch 1.5), so empfiehlt es sich auch bei den Handlungsanweisungen eventuelle Sicherheitsnetze einzuplanen. Soll eine bestimmte Handlung gesetzt werden, kann es hilfreich sein, diese Handlungsanweisung in mehr als nur einen Charakter einzubauen.
4. Vorbereitungsphase am Larp
Jedes gecastete Larp gewinnt von einer gemeinsamen Vorbereitungsphase am Larp. Egal wie viele spielrelevante Informationen in einem Charakterblatt stehen, es macht immer Sinn, Spieler*innen strukturiert beim Einfühlen in den Charakter, beim Intensivieren und Abstimmen von Charakterbeziehungen und beim Entwickeln einer Gruppenkultur zu begleiten. Hierzu kann man durchaus ein paar Stunden direkt vor Beginn des Larps einplanen.
Ich möchte hier kurz einige Aktivitäten auflisten, die otpional durchgeführt werden können und für die im Idealfall ein vorher definierter Zeitrahmen zur Verfügung steht:
- Feinschliff von sozialen Beziehungen:
Jeweils zwei Personen sprechen über die Beziehung ihrer Charaktere und erschaffen z.B. konkrete gemeinsame Erinnerungen und soziale Rituale (z.B. eine bestimmte Begrüßung,..). Darüber hinaus sollten hier auch physische und psychische Limits festgelegt werden (Triggerthemen, Darstellung von körperlicher Nähe, etc.). - Entwicklung einer Gruppenkultur:
Gemeinsam werden gruppenspezifische soziale Rituale (Begrüßungen, Tischkultur, Umgangsformen, Schlachtruf,..), das Verhalten gegenüber anderen, Hierarchien, Erinnerungen, Routinen etc. entwickelt.
- Improvisierte Vorbereitungsszenen ohne Publikum:
Schlüsselszenen aus der Vergangenheit oder auch Alltagsroutine (z.B. das tägliche Frühstück) der Charaktere werden in einer kurzen, improvisierten Szene gespielt, um sich besser einfühlen zu können. Sollen Schlüsselszenen aus der Vergangenheit gespielt werden, sollten die Larpdesigner*innen eine kurze Beschreibung dieser Szenen zur Verfügung stellen.
- Improvisierte Vorbereitungsszenen mit Publikum:
Kurze(!) Schlüsselszenen von Charaktergruppen werden zuerst ohne Publikum besprochen und dann vor der restlichen Spielerschaft vorgespielt, um einen Eindruck von der Gruppe zu vermitteln. Hierbei ist es unerlässlich, dass die Larpdesigner*innen eine Kurzbeschreibung der Szenen vorbereiten.
- Aufstellungen:
Gerne werden auch soziale Aufstellungen vor Larps durchgeführt. So kann man z.B. die gesamte Spielerschaft anweisen, sich entlang der Skala reich-arm oder revolutionär-konservativ (oder was auch immer für das jeweilige Larp Sinn macht) aufzustellen. Ich halte diese Methode aber nur für bereichernd, wenn mit der Information aus der Aufstellung weitergearbeitet wird, da sich diese schnellen Überblicke – vor allem bei 30+ Spieler*innen – kaum jemand merkt. Wenn aber eine Aufstellung genutzt wird, um weitere Charakterbeziehungen zu knüpfen, können diese sehr wohl gewinnbringend sein. So kann z.B. die Aufstellung konservativ – revolutionär dazu genutzt werden um Paare für heftige politische Auseinandersetzungen zu bilden.
Meiner Erfahrung nach kann es auch sehr hilfreich sein, eine Aufstellung zu Fragen auf einer Metaebene wie z.B. “Wer hätte gerne noch eine zusätzliche Freundschaft / Feindschaft / Romanze / etc.?” zu machen und dann den Spieler*innen mit dem Bedürfnis nach mehr Verknüpfungen, Zeit zur Bildung eben dieser zur Verfügung zu stellen.
Autorin: Olivia Fischer
30.3.2020
Bildquelle: https://pixabay.com/de/photos/vielfalt-liebe-farben-zusammen-3151613/